Der Bloy-Katechismus: PROPHETEN und TRÄNEN

Unbenannt

 

Im November 2017, anläßlich von Bloys 100. Todestag, erscheint mein „Bloy-Katechismus“, ein mehr als 1000-seitiges Buch mit wissenschaftlichem Anspruch, das in Form einer annotierten und illustrierten Enzyklopädie alle katholischen Zitate in Bloys Werk sammelt – von der Korrespondenz über die veröffentlichten und unveröffentlichten Tagebücher und seine Prosa bis hin zu den Widmungen, die einen eigenen, relevanten Textkorpus darstellen. Dieses Buch soll Bloy als einen eminenten geistlichen Autor etablieren, der mit seinem Schreiben an seiner Heiligung arbeitete. Das Buch steht im Kontext eines größeren Unternehmens, mit dem die Autoren des Renouveau Catholique als Kirchenväter der Moderne dargestellt werden sollen und das die katholische Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts als die Fortsetzung der Theologie mit poetischen Mitteln erweisen will. Eine Fortsetzung, die durch die Zerstörung des christlichen Fundaments durch die französische Revolution in Kraft gesetzt wurde. Einen vergleichbaren systematischen Zugang zu Léon Bloys Werk wie diesen „Katechismus“ gibt es auch in Frankreich nicht. 90 Prozent des verarbeiteten Materials ist noch nie ins Deutsche übersetzt worden. Hier ein kleiner Auszug aus den Kapiteln „Propheten“ und „Tränen“.

PROPHETEN

KORRESPONDENZ
Aber ich bitte Sie, sagen Sie Schwester Véronique, daß ich nicht will, daß sie mich für etwas hält, was ich nicht bin, das heißt für einen Propheten, und daß diese Rolle mir überhaupt nicht zusteht. Ich bin nichts anderes als ein armer Mann, der versucht, denjenigen, die ihn hören wollen, die Wahrheit zu sagen, und das ist alles. (1911)

TAGEBÜCHER
Die Bilder, die man vergessen zu haben glaubt, verbleiben am tiefsten in den Lagern des Geistes, vergleichbar mit den Druckplatten der Fotografen, die man bis zu jenem Tag in Reserve hält, an dem alles erscheinen muß. Und ich glaube, daß diese geheimnisvolle Rücklage, wie alles andere auch, auf dem Weg der natürlichen Vererbung weiter gegeben wird. Anna Katharina Emmerich zum Beispiel muß sehr ferne Verwandte gehabt haben, die Augen- und Ohrenzeugen jener Szenen gewesen sein müssen, von denen sie erzählt. Sie erinnert sich.
… Die Propheten waren Zeugen, die sich an die Zukunft erinnern. (1892)

Ich füge hinzu, ohne selbst von dem enormen Wunder zu sprechen, das der Heilige Geist in der Genesis aufgezeichnet(IX,27) und von dem Ehrenwort, dass Gott Abraham in aeternum gegeben hat, dass die Propheten, die großen wie die kleinen, im Wortsinn gesättigt sind von dem geheimnisvollen Versprechen der Wiederkehr, das das Neue Testament nicht aufgehoben hat – und das dasjenige betrifft, was man sich angewöhnt hat, die letzten Tage zu nennen. (1892)

Das Leben ist kurz, und ich lese lieber zum zweihundertsten Mal das 34. Kapitel von Ezechiel. (1892)

TRÄNEN

KORRESPONDENZ

Die Warnungen der Weinenden sind nicht umsonst. Maledictio matris eradicat fundamenta , sagt die Heilige Schrift. Verachtete Tränen können sich in Unheil verwandeln. (1914)
Das, was wir verständnislos die „Milchstrasse“ nennen, ist ein großer Tränenfluss, der ins Paradies mündet. (1915)
Glücklich sind die, denen Gott Tränen gegeben hat! Sie sind die einzige Ressource. (1916)
Wir müssen aufrecht weinen, Jeanne, so wie Maria weinte , und uns selber sagen, daß wir auf wunderbare Weise dafür geschaffen (situee) sind, um zu beten zu verehren. (1916)

TAGEBÜCHER

Zum ersten Mal sehe ich de Groux weinen. Ist das ein Zeichen dafür, daß er endlich etwas erlangen wird? Ich liebe diese Tränen. Gestern ist ihm alles daneben gegangen. (1892)

Ein Gedanke zu “Der Bloy-Katechismus: PROPHETEN und TRÄNEN

  1. Mir fällt dazu nur die Flachheit heutiger Theologie und die Verbürgerlichung der deutschen Kirche ein, die Thomas Hürlimann zu Recht in der neuen Herder-Korrespondenz in einem großartigen Interview beklagt. „Religion soll eine Anleitung zu sozialem Verhalten und zum gepflegten Miteinander sein“. Nachdem man die Kreuze aus den Schulen verbannt und den Skandal des Opfertodes ersetzt hat durch die „Lichtgestalt“, Jesus, den Retter…Wieviel näher kommt doch Leon Bloys existentielle Christologie dem dunklen Verzweiflungskern!

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